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Balljunkie - Wege aus der Sucht
Das kennen viele Hundehalter: Beim Anblick eines Balls. Frisbees oder Leckerlis bekommt der Hund diesen starren, gierigen Blick und ist nicht mehr ansprechbar. Alle Aufmerksamkeit ist auf das Objekt der Begierde gerichtet. Andere Hunde fangen an sich zu drehen, zu jaulen und zu bellen, weil sie es nicht aushalten können, bis der Ball endlich fliegt.
Oft wird dann gelacht, weil man dieses Verhalten witzig findet. Für deinen Hund ist das alles andere als witzig: Er ist zu 100 Prozent auf Jagen eingestellt.
Jagen und Beute machen ist für einen Hund mehr als nur ein Freizeitvergnügen. Genetisch ist der Hund ein Beutegreifer – um zu überleben muss er stöbern, jagen und fressen. Das Fixieren einer Beute und gleichzeitiges Abschalten aller anderen Sinne ist tief verankert im Verhalten unserer Hunde.
Arbeitslose Spezialisten
Viele Jahrtausende waren es genau diese Eigenschaften, die den Hund zum wertvollsten Begleiter der Menschen gemacht haben. Als Jagdhelfer, aber auch als Hüter der Nutztierherden wurden über nahezu 20.000 Jahre die speziellen Jagdeigenschaften selektiert und verstärkt.
Heute gibt es Spezialisten die Aufspüren, Treiben, Hetzen, Töten, Apportieren um zu teilen – je nachdem, wofür der Hund benötigt wird. Es entstanden die verschiedenen Hundetypen vom Windhund, Vorstehhund, Kaninchen- oder Rattenfänger über Retriever bis zum Hütehund. Jeder dieser Spezialhunde beherrscht eine der unterschiedlichen Jagdsequenzen in Perfektion.
Wer diese Spezialisten bei ihrer Arbeit beobachtet, entdeckt genau diesen irren Blick, die volle Konzentration, das Ausschalten aller anderen Wahrnehmungen beim Stöbern, Vorstehen, Hüten, Apportieren. So gewollt und über Jahrtausende gezielt herausgezüchtet. Arbeitshunde brauchen keine Belohnung, um das zu tun was sie tun sollen. Jagen ist selbstbelohnend: Es werden dabei Hormone ausgeschüttet die den Hund glücklich machen.
Und plötzlich finden sich all diese Spezialisten im 21. Jahrhundert wieder, wo es nur noch wenig Arbeit für sie zu tun gibt, Menschen aber trotzdem aus unterschiedlichen Gründen einen Hund an ihrer Seite haben möchten. Und ihre heraustragenden Eigenschaften werden plötzlich zum „Problem“.
Der Weg in die Sucht
Bei uns bekommt der Hund sein Futter fertig zubereitet in kleine Häppchen zerlegt im Napf serviert. Hunger ist also nicht mehr die Motivation, hinter etwas herzujagen, zu fangen, am Weglaufen zu hindern oder zu zerreißen und herunterzuschlingen. Es ist schlicht die Natur des Hundes.
Es fängt ganz harmlos an: Wir werfen ein Bällchen, der Hund hüpft freudig hinterher, fängt es und bringt es uns – oder haut damit ab, je nach Bindung. Wir interpretieren: Der Hund hat Spaß! Was der Hund hier aber wirklich tut ist Jagen. Und Jagen ist in jeder einzelnen Sequenz – Aufspüren, Treiben, Hetzen, Töten, Teilen und Fressen – wie oben bereits erwähnt selbstbelohnend. Es werden Glückshormone ausgeschüttet – und genau die machen süchtig.
Wer möchte nicht ständig glücklich seine? Um das zu erreichen möchte man mehr und mehr von dem, was glücklich macht: Ball hetzen, Frisbee jagen, Leckerlis fressen. Irgendwann dreht sich das Leben des Hundes nur noch um die Jagd nach dem Glücksgefühl – der Hund ist süchtig, ein Balljunkie.
Wohl gemerkt: Es geht nicht um das gelegentliche Spielen. Bälle können auch eine Super-Belohnung im Training sein. Hier geht es um die Hunde, die nur noch ihr Bällchen im Kopf haben und bei denen alles andere völlig ausgeblendet wird, sobald das Zielobjekt in Sicht kommt.
Raus aus der Sucht
Wie bei jeder Sucht ist die erste Maßnahme: Weg mit dem Suchtauslöser
Kein Bällchenspiel mehr mit einem Balljunkie. Auch nicht als Belohnung, denn wenn der Hund nur noch seinen Ball im Kopf hat lernt er auch nichts anderes – er führt alle möglichen Kommandos wie in Trance nur mit dem Ziel aus, seine Sucht zu befriedigen. Ab sofort wird eine andere Belohnung im Training gewählt.
Der nächste Schritt: Nichtstun aushalten lernen
Ein wesentliches Problem bei süchtigen Hunden ist, dass sie meist von klein auf viel Action haben. Falsch verstandene „Auslastung“ wird zur Dauerbespaßung und ständigen Lauf- und Rennspielen bis zur Erschöpfung. Oft bestimmt der Hund, wann das Spiel beendet ist, weil er hechelnd liegenbleibt. Ab sofort wird der Hund einfach mal ignoriert, auf seinen Platz geschickt um dort liegenzubleiben. Das kann anstrengend sein, aber nur Konsequenz führt hier irgendwann dazu, dass der Hund lernt, das Nichtstun entspannt auszuhalten.
Wichtig: Alternativen anbieten
Klar, der Hund braucht Bewegung und eine artgerechte Beschäftigung. Jagen ist ab sofort tabu. Angesagt sind gemeinsame Spaziergänge mit viel Zeit zum Bummeln, Schnüffeln und Ruhen. Einfach mal auf eine Bank setzen und nichts tun – für viele Menschen und Hunde eine echte Herausforderung.
Für Bewegung sorgt gemeinsames gemütliches Joggen – nebeneinander im lockeren Trab. Galoppiert der Hund oder läuft vorne weg ist er schon wieder im Jagdmodus. Der gemütliche, entspannte „Wolfstrab“ ist die natürliche Gangart des Hundes, die er über viele Kilometer energiesparend laufen kann. Wie schnell das ist muss jeder selbst mit seinem Hund ausprobieren. Kopf und Rücken sollten etwa eine waagerechte Linie bilden, die Rute hängt entspannt herab und wippt im Takt des Trabs. Die Leine ist locker und der Trab sollte insgesamt entspannt aussehen. Der Lauf sollte immer beendet werden, bevor dein Hund intensiv anfängt zu hecheln. Man kann auch einfach beim Spaziergang zwischendurch mal einige Meter entspannt joggen und dann wieder bummeln.
Beschäftigungen, bei denen der Hund nachdenken und sich konzentrieren muss, helfen zu entschleunigen. Nasenarbeit wie Fährten, Stöbern oder Mantrailing sowie ruhige Sportarten wie Obedience oder Rally Obedience fördern die Konzentrationsfähigkeit und lasten den Hund voll aus.
Nicht bedauern
Auch wenn dein Hund dir so leid tut, weil er ab sofort auf seinen bisherigen Lebensinhalt verzichten muss: Bedauere ihn nicht. Dein Hund braucht kein Mitgefühl und keinen Trost, sondern deine Hilfe. Wichtig ist auch, dass alle Familienmitglieder sich an die neuen Regeln halten. Nur gemeinsam kann der Hund seine Sucht überwinden. Eventuell kann auch die Unterstützung eines Hundetrainers am Anfang helfen.
Geduld
Es braucht Zeit, bis der Hund sein neues Leben annehmen kann und sein Verhalten wieder in normalen Bahnen verläuft. Wer erwartet, dass der Hund, sobald der Ball weg ist, zur Ruhe kommt und chillt, sollte wissen, dass Suchtverhalten nicht einfach ausgeschaltet werden kann. Es lohnt aber, denn letztlich ist ein dauerglücklicher Hund einfach nur dauernd high, und das wirkt sich negativ auf die Gesundheit aus. Ein gesundes Gleichgewicht zwischen Entspannung und Anspannung sollte immer das Ziel sein.